Eine kurze Geschichte des Geldes
- Mike Miller
- 7. Juli
- 33 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Sept.
1. Die Erfindung und der Zweck des Geldes
Geld ist keine materielle Entdeckung im herkömmlichen Sinne, sondern eine mentale Revolution.
Es ist eine intersubjektive Realität, die nur in der gemeinsamen Vorstellung der Menschen existiert.
Diese kollektive Übereinkunft ermöglicht es, Werte systematisch darzustellen, was den Vergleich von Gütern und Dienstleistungen sowie deren Austausch erheblich vereinfacht.
Es dient auch als praktisches Mittel zur Wertaufbewahrung über längere Zeiträume.
Die Einführung des Geldes befreite spezialisierte Arbeitskräfte von den Beschränkungen des Tauschhandels. Im Tauschhandel war es oft schwierig, einen Partner zu finden, der genau das besaß, was man brauchte, und gleichzeitig genau das haben wollte, was man selbst anzubieten hatte.
Geld überwindet diese "doppelte Koinzidenz der Bedürfnisse", indem es eine universelle Tauschware bereitstellt.
Im Laufe der Geschichte haben viele verschiedene Gegenstände als Geld gedient: von Kaurischnecken über Vieh, Häute, Salz, Getreide und Perlen bis hin zu Schuldscheinen.
Selbst in modernen Zeiten, wie in Gefängnissen oder Kriegsgefangenenlagern, haben Alltagsgegenstände wie Zigaretten als Währung fungiert.
Entscheidend ist nicht der intrinsische Wert dieser Objekte, sondern das Vertrauen, das die Menschen in sie setzen.
Dieses Vertrauen ist die fundamentale Basis des Geldes. Es basiert auf einem komplexen Geflecht aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen. Menschen akzeptieren Geld, weil sie darauf vertrauen, dass andere – einschließlich staatlicher Institutionen, die Steuern in dieser Währung erheben – es ebenfalls akzeptieren und seinen Wert anerkennen.
Die Entwicklung des Geldes begann mit Systemen, die einen intrinsischen Wert besaßen, wie das sumerische Gerstengeld um 3000 v. Chr. Der entscheidende Fortschritt erfolgte jedoch mit Geldformen, die keinen oder kaum intrinsischen Wert hatten, dafür aber leichter zu lagern und zu transportieren waren, wie der Silber-Schekel in Mesopotamien.
Ein weiterer Meilenstein waren die Münzen, die um 640 v. Chr. im Königreich Lydien geprägt wurden. Sie boten den Vorteil eines standardisierten Gewichts und einer offiziellen Prägung, die von einer Autorität stammte und den Inhalt sowie das Gewicht der Münze garantierte. Dies minimierte Betrug und machte Transaktionen wesentlich effizienter und vertrauenswürdiger.
2. Geld und Globalisierung: Eine universelle Sprache des Vertrauens
Die Verbreitung von Geldsystemen, insbesondere jener, die auf Edelmetallen wie Gold und Silber basierten, spielte eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer zunehmend vernetzten globalen Wirtschafts- und Politikwelt.
Trotz der enormen Vielfalt an Sprachen, Kulturen und politischen Systemen ermöglichte ein gemeinsamer Glaube an den Wert von Gold und Silber die Entstehung und das Wachstum weltweiter Handelsnetzwerke.
Geld besitzt eine einzigartige Fähigkeit zur universellen Umtauschbarkeit: Es kann im Prinzip alles in alles andere verwandeln – sei es Muskelkraft in geistige Arbeit, Gesundheit in Gerechtigkeit oder materielle Güter in immaterielle Dienstleistungen.
Diese universelle Umtauschbarkeit ist untrennbar mit dem universellen Vertrauen verbunden, das Geld schafft. Es ermöglicht Fremden, effektiv und reibungslos miteinander zu kooperieren, selbst wenn sie sich nie zuvor begegnet sind und keine persönliche Bindung haben. Die Fähigkeit des Geldes, Vertrauen über kulturelle und geografische Grenzen hinweg zu vermitteln, ist ein Grundpfeiler der globalen Vernetzung.
Die Kräfte von Angebot und Nachfrage im globalen Handel führen dazu, dass sich der Wert von transportablen Gütern in allen verbundenen Gebieten angleicht.
Dies wiederum begünstigt die Akzeptanz derselben Geldformen über Kulturgrenzen hinweg. Ein Händler in China konnte mit einem Händler in Ägypten Geschäfte machen, weil beide dem Wert von Silber oder Gold vertrauten, auch wenn sie sich in Sprache und Religion völlig unterschieden.
3. Die Dualität des Geldes:
Licht und Schatten
Trotz seiner enormen Vorteile und seiner Rolle als Motor von Kooperation und Handel birgt die Macht des Geldes auch eine "dunkle Seite".
Es besitzt die Fähigkeit, überlieferte Traditionen, intime Beziehungen und tief verwurzelte menschliche Werte zu untergraben. Indem alles in Zahlen ausdrückbar und somit kaufbar wird, können die kalten Gesetze von Angebot und Nachfrage über Aspekte des Lebens triumphieren, die traditionell als "unschätzbar" galten.
Dies kann zu problematischen Anreizen führen. Wenn alles einen Preis hat, können Handlungen motiviert werden, die im Widerspruch zu Werten wie Ehre, Loyalität oder Liebe stehen.
Beispiele hierfür, so das Buch von Yuval Noah Harari aus „Money“, reichen von Eltern, die ihre Kinder verkaufen, bis zu Rittern, die ihre Treue gegen das höchste Gebot verauktionieren.
Die Gefahr besteht, dass das Streben nach monetärem Gewinn moralische und ethische Grenzen verschiebt oder gar aufhebt.
Der Kapitalismus, wie er im Buch beschrieben wird, zeichnet sich durch das Prinzip aus, Gewinne nicht einfach zu horten oder zu konsumieren, sondern sie zu reinvestieren, um noch größere Gewinne zu erzielen. Dies ist der grundlegende Unterschied zwischen "Kapital" (produktiv investiertes Geld) und bloßem "Reichtum".
Obwohl der freie Markt oft als die effizienteste und weiseste Wirtschaftspolitik dargestellt wird, können seine unregulierten Mechanismen zu Problemen wie Monopolbildung, Lohndumping und sogar zu historischen Gräueltaten führen, wie der Atlantische Sklavenhandel zeigt.
Solche Entwicklungen sind oft das Ergebnis eines blinden Strebens nach Profit und Wachstum ohne ausreichende Berücksichtigung ethischer und menschlicher Konsequenzen.
4. Die Große Entkopplung und die Zukunft
Das Buch blickt auch in die Zukunft und thematisiert die mögliche "große Entkopplung", die durch technologische Fortschritte, insbesondere in der Künstlichen Intelligenz (KI), ausgelöst werden könnte.
In einem Szenario, in dem menschliche Arbeitskraft zunehmend überflüssig wird, stellen sich fundamentale Fragen nach der Rolle des Menschen in der Gesellschaft.
Wie können Menschen beschäftigt und zufrieden gehalten werden, wenn ihre Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird? Eine mögliche Antwort könnte eine verstärkte Abhängigkeit von virtuellen Realitäten sein, die als Ausgleich für fehlende reale Aufgaben dienen könnten.
Diese Entwicklungen werfen auch Bedenken hinsichtlich der menschlichen Individualität auf. Wenn Algorithmen zunehmend wichtige Entscheidungen für Einzelpersonen treffen – sei es im Gesundheitswesen, bei der Berufswahl oder in persönlichen Beziehungen –, könnte dies die persönliche Autorität und Freiheit erodieren.
Das Buch regt an, über die Implikationen einer Welt nachzudenken, in der menschliche Autonomie durch datengesteuerte Algorithmen herausgefordert wird.
Schließlich beleuchtet der Text die zukünftige Medizin, die sich möglicherweise nicht mehr primär auf die Heilung von Krankheiten konzentriert, sondern auf das "Aufrüsten der Gesunden". Wenn Technologien zur Verbesserung menschlicher Fähigkeiten zugänglich werden, könnte dies die sozialen Unterschiede weiter vertiefen, falls solche Fortschritte nicht gerecht verteilt oder reguliert werden.
Die Fähigkeit, körperliche und geistige Attribute zu verbessern, könnte zu einer neuen Form der Ungleichheit führen, die auf biotechnologischen Möglichkeiten basiert.
Die Evolution des Wertes:
Von antikem Tauschhandel zu algorithmischen Zukünften – Eine umfassende Analyse von Geld, Kapitalismus und der Zukunft der Menschheit
I. Einleitung:
Die Wertelandschaft und den Fortschritt navigieren
Dieser Bericht bietet eine umfassende Analyse der Entwicklung des Geldes, der Prinzipien und historischen Auswirkungen des Kapitalismus sowie des transformativen Potenzials der künstlichen Intelligenz auf die Zukunft der Menschheit. Er stützt sich dabei hauptsächlich auf die tiefgreifenden Erkenntnisse von Yuval Noah Harari aus „Money“. Als interdisziplinärer Historiker und Futurist wird dieser Bericht diese komplexen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Trends synthetisieren und eine ganzheitliche Perspektive darauf bieten, wie die Menschheit Werte organisiert hat und welche Herausforderungen vor uns liegen. Die Analyse wird über Hararis Kernargumente hinausgehen und ergänzende Forschungsergebnisse integrieren, um zeitgenössische Beispiele, politische Diskussionen und die psychologischen sowie politischen Dimensionen dieser anhaltenden Transformationen zu beleuchten.
II. Die Entstehung und Psychologie des Geldes:
Eine geteilte Imagination
Dieser Abschnitt untersucht die historischen Ursprünge und die grundlegende Natur des Geldes, verfolgt seine Entwicklung von rudimentären Tauschsystemen bis zu seinen modernen digitalen Formen und betont seine psychologischen Grundlagen als kollektives Vertrauenskonstrukt.
Von Gefälligkeiten und Tauschhandel zum Bedürfnis nach universellem Austausch
Frühe menschliche Gesellschaften, wie Jäger-Sammler-Gruppen und frühe Agrardörfer, funktionierten primär auf Basis einer „Ökonomie der Gefälligkeiten und Verpflichtungen“. Innerhalb dieser intimen Gemeinschaften wurden Güter und Dienstleistungen mit einem impliziten Verständnis der Gegenseitigkeit geteilt. Beispielsweise konnte ein Stück Fleisch mit kostenloser medizinischer Hilfe erwidert werden. Ein begrenzter Tauschhandel fand nur für seltene Gegenstände statt, die nicht lokal verfügbar waren.
Das Aufkommen von Städten und Königreichen, verbunden mit einer verbesserten Transportinfrastruktur, förderte die Spezialisierung. Dies führte zur Entstehung von Vollzeitberufen wie Schuhmachern, Ärzten, Zimmerleuten und Anwälten in dicht besiedelten Städten. Diese Spezialisierung, obwohl wirtschaftlich vorteilhaft, belastete das alte System. Eine Ökonomie der Gefälligkeiten erwies sich unter einer großen Anzahl von Fremden als ineffektiv, und der direkte Tauschhandel wurde umständlich. Harari veranschaulicht dies am Beispiel eines Apfelbauern, der Schuhe benötigt, und hebt die immense Komplexität der Berechnung relativer Preise hervor (z. B. 4.950 Wechselkurse für 100 Waren) sowie das inhärente Problem der „doppelten Übereinstimmung der Bedürfnisse“. Versuche mit zentralen Tauschsystemen, wie dem gescheiterten Experiment der Sowjetunion oder dem moderateren Inka-Reich, zeigten die Schwierigkeiten und begrenzten Erfolge solcher Ansätze.
Die „mentale Revolution“:
Geld als intersubjektive Realität
Geld wurde mehrfach und an vielen Orten unabhängig voneinander erfunden und stellte eine „rein mentale Revolution“ dar. Seine Existenz wurzelt in einer „neuen intersubjektiven Realität“, die ausschließlich in der gemeinsamen Vorstellung der Menschen existiert.
Definiert als alles, was Menschen bereit sind, systematisch zu verwenden, um den Wert anderer Dinge zum Zweck des Austauschs von Gütern und Dienstleistungen darzustellen, erleichtert Geld den schnellen Wertvergleich, den einfachen Austausch und die bequeme Speicherung von Reichtum. Bemerkenswerterweise existieren heute über 90 % des weltweiten Geldes als elektronische Daten auf Computerservern, wodurch physische Münzen und Banknoten eine seltene Form darstellen. Die grundlegendste Eigenschaft des Geldes ist seine universelle Begehrlichkeit: „Jeder will immer Geld, weil auch jeder andere immer Geld will“.
Diese universelle Akzeptanz ermöglicht es dem Geld, als universelles Tauschmittel zu fungieren, das fast alles in fast alles andere umwandeln kann – von Muskelkraft in Bildung (Soldatenleistungen für Studiengebühren), Land in Loyalität oder Gesundheit in Gerechtigkeit (Arzthonorare für einen Anwalt). Es löst auch effizient die Probleme der Speicherung und des Transports von Reichtum, da abstraktes Geld (wie Kaurischnecken oder digitale Bits) haltbar, kompakt und leicht zu bewegen ist im Vergleich zu verderblichen Gütern wie Getreide oder unbeweglichen Vermögenswerten wie Immobilien.
Die Betonung des Geldes als „rein mentale Revolution“ und „intersubjektive Realität“ unterstreicht, dass es sich nicht nur um ein Tauschmittel handelt, sondern um einen fundamentalen Wandel in der menschlichen Kognition und sozialen Organisation. Diese Entwicklung ermöglichte es den Menschen, in einem noch nie dagewesenen Ausmaß zusammenzuarbeiten, indem sie die Grenzen kleiner, intimer Gruppen überwanden. Der Übergang von Gefälligkeiten und Tauschhandel, die durch Vertrauen und die Übereinstimmung der Bedürfnisse begrenzt waren, zu Geld mit seiner universellen Konvertierbarkeit, Lagerfähigkeit und Transportfähigkeit, zeigt ein gesellschaftliches Bedürfnis nach skalierbarer Kooperation. Die Macht des Geldes liegt nicht in seiner materiellen Form, sondern in der kollektiven Überzeugung. Diese kollektive Überzeugung ist eine hochentwickelte Form der sozialen Technologie, die komplexe Wirtschaftssysteme ermöglicht, die sonst undenkbar wären. Die Aussage, dass Geld der „Höhepunkt menschlicher Toleranz“ ist , ist eine direkte Folge davon: Geld ermöglicht Zusammenarbeit trotz Differenzen, indem es einen gemeinsamen, abstrakten Nenner für den Wert liefert. Dies ist eine tiefgreifende soziale Innovation, die die menschliche Fähigkeit zu geteilten Fiktionen zur Schaffung komplexer Realitäten demonstriert.
Frühe Formen des Geldes: Gerste, Silber, Muscheln und ihre Entwicklung
Das erste bekannte Geld war das sumerische Gerstengeld, das um 3000 v. Chr. aufkam. In festen Mengen (z. B. Sila) gemessen, hatte Gerste einen intrinsischen biologischen Wert (es konnte gegessen werden), was dazu beitrug, anfängliches Vertrauen aufzubauen. Es war jedoch umständlich zu lagern und zu transportieren.
Ein bedeutender Durchbruch erfolgte mit dem Silberschekel im alten Mesopotamien (Mitte des dritten Jahrtausends v. Chr.), der keinen intrinsischen Wert besaß, aber leichter zu lagern und zu transportieren war. Sein Wert war rein kulturell und mit hohem sozialen Status verbunden. Andere Formen umfassten Kaurischnecken, die 4.000 Jahre lang auf verschiedenen Kontinenten verwendet wurden und für ihre Haltbarkeit und Tragbarkeit geschätzt wurden. Selbst in modernen Gefängnissen und Kriegsgefangenenlagern dienten Zigaretten als funktionierende Währung.
Die Einführung der Münzprägung:
Standardisierung, Vertrauen und Souveränität
Die ersten Münzen wurden um 640 v. Chr. von König Alyattes von Lydien geprägt. Dies waren standardisierte, geprägte Metallstücke, die ein Identifikationszeichen trugen, das den Edelmetallgehalt angab und dessen Inhalt von der ausgebenden Autorität garantiert wurde.
Münzen boten entscheidende Vorteile gegenüber unmarkierten Metallbarren: Sie machten das Wiegen bei jeder Transaktion überflüssig und boten eine Reinheitsgarantie, die Betrug bekämpfte. Das Zeichen auf einer Münze war im Wesentlichen die „Unterschrift einer politischen Autorität“ , die den Geldwert direkt mit der Staatsmacht verband. Geldfälschung war daher nicht nur Betrug, sondern ein „Verstoß gegen die Souveränität“, der oft schwer bestraft wurde.
Das Vertrauen in die Macht und Integrität des Königs übertrug sich direkt auf das Vertrauen in seine Münzen. Die Unterschrift des Königs auf einer Münze war nicht nur eine Garantie für das Gewicht; sie war eine Behauptung von Macht und Legitimität. Die Fähigkeit, Währung zu prägen und sie als Steuern einzufordern, verlieh dem Staat immense Kontrolle über seine Bevölkerung und Wirtschaft. Die Akzeptanz des römischen Denars weit über die Grenzen des Römischen Reiches hinaus zeigt, wie wirtschaftliches Vertrauen politischen Einfluss ausdehnen und Soft Power projizieren kann.
Diese frühe Verflechtung von Finanz- und politischer Macht nimmt spätere Diskussionen über die Rolle des Kapitalismus im Imperialismus vorweg, wo finanzielle Hebelwirkung direkt in geopolitische Dominanz und Kontrolle über Ressourcen und Bevölkerungen umgesetzt wird.
Das „Evangelium des Goldes“:
Die Welt durch geteilten Glauben vereinen
Das Vertrauen in mächtige Währungen, wie den römischen Denar, reichte weit über die imperialen Grenzen hinaus und wurde zu einem akzeptierten Tauschmittel in entfernten Märkten wie Indien. Dies führte zur Übernahme und Anpassung solcher Namen (z. B. „Dinar“ von Denar). Die Verbreitung der lydischen Münzprägung und des „Evangeliums des Goldes“ durch muslimische und europäische Kaufleute vereinte die gesamte Welt bis zur Spätmoderne allmählich zu einer einzigen Währungszone, die sich zunächst auf Gold und Silber stützte, dann auf vertrauenswürdige Währungen wie das britische Pfund und den amerikanischen Dollar.
Dieser gemeinsame Glaube, selbst unter verschiedenen Kulturen mit widersprüchlichen Sprachen, Herrschern und Göttern, wurde durch die Kräfte von Angebot und Nachfrage angetrieben. Wenn eine Region Gold schätzte, profitierten Kaufleute davon, es anderswo günstig zu kaufen und teuer zu verkaufen, wodurch sich sein Wert schließlich weltweit ausglich. Harari postuliert, dass Geld der „Höhepunkt menschlicher Toleranz“ ist, fähig, fast jede kulturelle Kluft zu überbrücken und nicht nach Religion, Geschlecht, Rasse, Alter oder sexueller Orientierung zu diskriminieren, wodurch eine effektive Zusammenarbeit zwischen Fremden ermöglicht wird.
Die Dualität des Geldes:
Kooperation ermöglichen versus Werte korrodieren
Trotz seiner vereinheitlichenden Kraft besitzt Geld eine „dunkle Seite“. Seine Prinzipien der „universellen Konvertierbarkeit“ und des „universellen Vertrauens“ können „lokale Traditionen, intime Beziehungen und menschliche Werte korrodieren“ und sie durch die „kalten Gesetze von Angebot und Nachfrage“ ersetzen.
Dinge, die traditionell als „unbezahlbar“ galten, wie Ehre, Loyalität, Moral und Liebe, können zu Handelswaren werden. Historische Beispiele umfassen Eltern, die Kinder in die Sklaverei verkaufen, um andere zu ernähren, Christen, die Sündenvergebung von der Kirche kaufen, Ritter, die ihre Loyalität meistbietend versteigern, und Stammesland, das an Ausländer verkauft wird.
Dies impliziert eine Verschiebung des Vertrauens:
Anstatt Menschen oder Gemeinschaften zu vertrauen, wird Vertrauen in „das Geld selbst und die unpersönlichen Systeme, die es stützen“, investiert.
Wenn das Geld ausgeht, schwindet das Vertrauen, was potenziell zu einem „herzlosen Marktplatz“ führt.
Während Geld auf Vertrauen aufbaut, ist dieses Vertrauen unpersönlich und kann persönliches, gemeinschaftsbasiertes Vertrauen untergraben. Es ist zwar ein System des „gegenseitigen Vertrauens“ , aber es ist Vertrauen in das System, nicht unbedingt in den Einzelnen.
Harari stellt ausdrücklich fest: „Wir vertrauen nicht dem Fremden oder dem Nachbarn – wir vertrauen der Münze, die sie halten. Wenn ihnen die Münzen ausgehen, geht uns das Vertrauen aus“. Dies schafft eine grundlegende Spannung. Geld erleichtert die groß angelegte Zusammenarbeit, indem es Vertrauen von persönlichen Beziehungen abstrahiert, aber dabei kann es das Gefüge dieser Beziehungen schwächen.
Die „kalten Gesetze von Angebot und Nachfrage“ ersetzen „unbezahlbare“ menschliche Werte. Dies ist ein subtiler, aber kritischer Kompromiss: Effizienz und Skalierbarkeit auf Kosten von Gemeinschaftsgefühl und inhärentem menschlichem Wert. Die Implikation ist, dass Geld zwar riesige Netzwerke ermöglicht, aber gleichzeitig das Risiko birgt, Interaktionen zu entmenschlichen, indem es sie auf transaktionale Austausche reduziert.
Tabelle:
Evolution des Geldes und seine Merkmale
Art des Geldes | Zeitraum | Hauptmerkmale | Vorteile | Nachteile |
Tauschhandel | Frühe Gesellschaften | Direkter Austausch von Gütern/Dienstleistungen; basiert auf persönlichen Beziehungen | Einfach in kleinen, intimen Gemeinschaften | Begrenzt durch „doppelte Übereinstimmung der Bedürfnisse“; ineffizient bei vielen Gütern/Fremden |
Sumerisches Gerstengeld | ca. 3000 v. Chr. | Feste Mengen Gerste (Sila); intrinsischer biologischer Wert | Anfänglicher Vertrauensaufbau durch Essbarkeit | Schwer zu lagern und zu transportieren |
Silber-Schekel | Mitte 3. Jahrtausend v. Chr. | 8,33 Gramm Silber; kein intrinsischer Wert (außer kulturell); leichter zu transportieren | Besser lager- und transportierbar als Gerste; Wert rein kulturell | Wert nicht inhärent; auf kultureller Übereinstimmung basierend |
Lydische Münzen | ca. 640 v. Chr. | Standardisiertes Gewicht; geprägt mit Identifikationszeichen der Autorität | Kein Wiegen bei jeder Transaktion; Reinheitsgarantie; staatliche Garantie | Anfällig für Fälschungen (wenn auch schwer bestraft) |
Digitale Währung | Heute | Elektronische Daten auf Servern; keine physische Form | Leicht, kompakt, einfach zu verfolgen; ermöglicht schnelle Transaktionen | Abhängig von Computersystemen; erfordert Vertrauen in unpersönliche Systeme |
III. Kapitalismus:
Der Motor des ewigen Wachstums und seine historische Entwicklung
Dieser Abschnitt beleuchtet den Kapitalismus als dynamisches Wirtschaftssystem, das vom Imperativ des Wachstums und des Kredits angetrieben wird, und untersucht seine historische Rolle beim Aufbau von Imperien sowie seine tiefgreifenden, oft ethisch problematischen Auswirkungen auf Gesellschaften.
Der Paradigmenwechsel:
Von statischen Ökonomien zu exponentiellem Wachstum
Über den größten Teil der Menschheitsgeschichte hinweg blieb die Weltwirtschaft relativ statisch, wobei die Pro-Kopf-Produktion weitgehend konstant blieb. Das moderne Zeitalter erlebte jedoch ein „erstaunliches Wachstum“ , wobei die globale Produktion von etwa 250 Milliarden Dollar im Jahr 1500 auf heute rund 60 Billionen Dollar anstieg und die jährliche Pro-Kopf-Produktion von 550 Dollar auf 8.800 Dollar zunahm. Dieses beispiellose Wachstum wird der „Idee des Fortschritts“ zugeschrieben, die mit der Wissenschaftlichen Revolution aufkam und die Überzeugung förderte, dass die menschliche Produktion, der Handel und der Wohlstand unbegrenzt gesteigert werden könnten. Dies führte zur grundlegenden kapitalistischen Überzeugung von einem „wachsenden globalen Kuchen“.
Die Macht des Kredits:
Die Gegenwart auf zukünftigem Überfluss aufbauen
Kredit wird als eine einzigartige Form von Geld dargestellt, die „imaginäre Güter“ repräsentiert – Ressourcen oder Produkte, die in der Gegenwart nicht existieren, aber für die Zukunft erwartet werden. Er ermöglicht es, die Gegenwart auf Kosten der Zukunft aufzubauen. In vormodernen Zeiten war Kredit stark begrenzt, da die Menschen im Allgemeinen glaubten, dass Reichtum endlich oder schwindend sei, und wirtschaftliche Interaktionen als „Nullsummenspiel“ betrachteten. Dies führte zu kleinen, kurzfristigen Darlehen mit hohen Zinssätzen, die neue Unternehmen behinderten.
Die Überzeugung des modernen Zeitalters vom Fortschritt transformierte den Kredit, wodurch große, langfristige und zinsgünstige Darlehen weit verbreitet wurden. Harari veranschaulicht, wie Banken Geld durch Kredit schaffen, indem sie weit mehr verleihen, als sie physisch besitzen (z. B. 10 Dollar für jeden Dollar in den Tresoren), wobei das gesamte System auf dem „Vertrauen in die zukünftige Rentabilität“ von Investitionen beruht. Der „magische Zirkel des imperialen Kapitalismus“ ist ein Mikrokosmos des breiteren kapitalistischen Systems. Vertrauen in die Zukunft befeuert Kredite, die Unternehmungen (Erkundung, Produktion) ermöglichen, die Gewinne generieren, die wiederum das Vertrauen stärken und zu mehr Krediten führen.
Dies unterstreicht eine mächtige positive Rückkopplungsschleife, die für das nachhaltige Wachstum des Kapitalismus grundlegend ist.
Das Konzept des „Kredits“ als „imaginäre Güter“ ist entscheidend für das Verständnis dieses Kreislaufs. Es geht nicht um vorhandenen Reichtum, sondern um erwarteten Reichtum, der einen Vertrauensvorschuss erfordert.
Der historische Wandel von einer „Nullsummenspiel“-Mentalität zu einem „wachsenden globalen Kuchen“ war eine notwendige kulturelle und psychologische Voraussetzung, damit dieser Kreislauf in Gang kommen konnte.
Die Beispiele der Niederlande gegen Spanien und Großbritanniens gegen Frankreich zeigen deutlich, wie finanzielles Vertrauen (aufgebaut auf Zuverlässigkeit und Rechtsstaatlichkeit) direkt in geopolitische und imperiale Macht umgesetzt wurde, was den kausalen Zusammenhang zwischen robusten Finanzsystemen und globaler Dominanz verdeutlicht. Dieser Kreislauf, während er immensen Reichtum generiert, treibt auch von Natur aus Expansion und Ressourcengewinnung an, um das Wachstum des „Kuchens“ aufrechtzuerhalten.
Adam Smiths revolutionäre Ethik:
Gier, Altruismus und Reinvestition
Adam Smiths „Der Wohlstand der Nationen“ (1776) wird als das grundlegende Werk des kapitalistischen Glaubensbekenntnisses identifiziert. Smith argumentierte, dass das egoistische Streben nach privaten Gewinnen letztendlich allen zugutekommt, indem es den kollektiven Reichtum erhöht, und implizierte bekanntlich, dass „Gier gut ist“ und „Egoismus Altruismus ist“.
Diese Perspektive definierte die Wirtschaft als eine „Win-Win-Situation“, in der individuelle Gewinne zu einem wachsenden „Gesamtkuchen“ beitragen.
Ein entscheidender ethischer Bestandteil des modernen Kapitalismus ist das Gebot, dass „Gewinne aus der Produktion in die Steigerung der Produktion reinvestiert werden müssen“ ad infinitum.
Dies unterscheidet „Kapital“ (Geld, Güter, Ressourcen, die in die Produktion investiert werden) von bloßem „Reichtum“ (gehortet oder für unproduktive Aktivitäten verschwendet).
Im Gegensatz zu mittelalterlichen Adligen, die Einnahmen für auffälligen Konsum ausgaben, priorisiert die neue kapitalistische Elite (Vorstandsvorsitzende, Börsenhändler, Industrielle) die Reinvestition über Extravaganz.
Der Kapitalismus entwickelte sich somit von einer Wirtschaftstheorie zu einer umfassenden „Ethik“, die das Wirtschaftswachstum als höchstes Gut ansieht, von dem Gerechtigkeit, Freiheit und Glück abhängen.
Die symbiotische Beziehung:
Kapitalismus, Wissenschaft und imperiale Expansion
Moderne Wissenschaft und Kapitalismus sind eng miteinander verknüpft. Wissenschaftliche Forschung wird oft nach ihrem Potenzial zur Steigerung von Produktion und Gewinnen finanziert. Umgekehrt beruht der Glaube des Kapitalismus an ewiges Wachstum darauf, dass Wissenschaftler ständig neue Entdeckungen und Erfindungen machen.
Harari warnt, dass die Stabilität des aktuellen Wirtschaftssystems, bei dem Regierungen Billionen von „Scheingeld“ drucken, davon abhängt, dass Wissenschaftler „etwas wirklich Großes“ in Bereichen wie Biotechnologie und Nanotechnologie schaffen, bevor eine Finanzblase platzt.
Der Kapitalismus spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des europäischen Imperialismus. Im Gegensatz zu nicht-europäischen Imperien, die Kriege durch Steuern und Plünderungen finanzierten, wurden europäische Eroberungen zunehmend durch Kredite finanziert und von Kapitalisten geleitet, die maximale Renditen auf ihre Investitionen anstrebten. Dies schuf einen „magischen Zirkel des imperialen Kapitalismus“: Kredit finanzierte neue Entdeckungen (wie Kolumbus’ Reisen), die zu Kolonien führten, die Gewinne lieferten, Vertrauen aufbauten und sich in noch mehr Kredit umwandelten.
Um die inhärenten Risiken solcher Unternehmungen zu mindern, entwickelten die Europäer „Aktiengesellschaften mit beschränkter Haftung“, die es zahlreichen Investoren ermöglichten, kleine Teile ihres Kapitals für potenziell unbegrenzte Gewinne zu riskieren.
Der Aufstieg der Niederländischen Republik über das mächtige spanische Reich im 16. Jahrhundert veranschaulicht die Macht des Kredits. Die Niederländer sicherten sich das Vertrauen des aufstrebenden europäischen Finanzsystems durch zuverlässige Kreditrückzahlung und ein unabhängiges Rechtssystem, das private Eigentumsrechte schützte, und zogen Kapital von weniger stabilen Staaten wie Spanien ab.
Private Aktiengesellschaften, wie die Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC), finanzierten riesige Militäraktionen und eroberten Indonesien, was zeigt, wie private Einheiten Imperien aufbauten. Umgekehrt dient die „Mississippi-Blase“ (1717-1720) in Frankreich als warnendes Beispiel.
Manipulative Aktienkurse, angeheizt durch politische Verbindungen und das Gelddrucken der Zentralbank, führten zu einem katastrophalen Finanzkollaps. Dieser Vertrauensverlust der Öffentlichkeit in das französische Finanzsystem behinderte dessen Fähigkeit, Kredite aufzunehmen, und trug zur raschen Expansion des britischen Empire bei, das, wie das niederländische, weitgehend von privaten Aktiengesellschaften wie der British East India Company aufgebaut wurde.
Die Gefahren unkontrollierter Märkte:
Ausbeutung, Sklaverei und koloniale Gräueltaten
Harari hebt eine „dunkle Seite“ des Kapitalismus hervor: das unerbittliche Streben nach Gewinn und Wachstum, das, wenn es „durch keine anderen ethischen Überlegungen eingeschränkt wird, leicht zu einer Katastrophe führen kann“.
Er stellt Adam Smiths optimistische Sichtweise in Frage und argumentiert, dass in einem „vollständig freien Markt, der von Königen und Priestern unbeaufsichtigt ist, habgierige Kapitalisten Monopole errichten oder sich gegen ihre Arbeitskräfte verschwören können“, was zu Ausbeutung durch reduzierte Löhne, erhöhte Arbeitszeiten, Schuldknechtschaft oder sogar Sklaverei führt.
Der atlantische Sklavenhandel wird als Paradebeispiel für „ungezügelte Marktkräfte“ dargestellt. Dies war ein „rein wirtschaftliches Unternehmen“, das vom freien Markt organisiert und finanziert wurde, wobei private Sklavenhandelsunternehmen Aktien an europäischen Börsen verkauften.
Etwa 10 Millionen afrikanische Sklaven wurden gewaltsam nach Amerika transportiert, hauptsächlich für arbeitsintensive Zuckerplantagen, wo sie „abscheuliche“ Bedingungen und immenses Leid ertragen mussten, alles angetrieben vom Streben nach „riesigen Gewinnen“.
Harari stellt unmissverständlich fest: „Der Kapitalismus hat Millionen aus kalter Gleichgültigkeit gepaart mit Gier getötet“.
Andere Beispiele sind die Große Hungersnot in Bengalen, bei der die Britische Ostindien-Kompanie Gewinne über das Leben von 10 Millionen Bengalen stellte, und die Militärkampagnen der VOC in Indonesien, die von niederländischen Bürgern finanziert wurden, die „keine Rücksicht auf das Leid“ der lokalen Bevölkerung nahmen. König Leopolds II. „humanitäre“ Organisation im Kongo-Freistaat verwandelte sich schnell in ein rücksichtsloses Wirtschaftsunternehmen, das auf die Kautschukgewinnung abzielte und durch brutale Ausbeutung schätzungsweise 6 bis 10 Millionen Todesopfer forderte.
Harari argumentiert, dass westliche Regierungen oft zu einer „kapitalistischen Gewerkschaft“ wurden , die den Interessen des Großkapitals diente.
Der Erste Opiumkrieg (1840-42) wird als „notorisches Beispiel“ angeführt, bei dem Großbritannien im Namen des „freien Handels“ China den Krieg erklärte, um die lukrativen Opiumexporte britischer Drogenhändler zu schützen, was zu Millionen chinesischer Süchtiger und der britischen Kontrolle über Hongkong führte. Ähnlich führten Kredite britischer Investoren an Ägypten zu einer britischen Militärintervention und Ägypten wurde ein britisches Protektorat.
Selbst der Krieg wurde zu einer Ware, wie die handelbaren griechischen Aufstandsanleihen zeigen, bei denen die finanziellen Interessen britischer Anleihegläubiger zu einer militärischen Intervention führten.
Dieses historische Muster unterstreicht, warum die Kreditwürdigkeit eines Landes, die politische und soziale Stabilität berücksichtigt, heute wichtiger für sein wirtschaftliches Wohlergehen ist als seine natürlichen Ressourcen. Hararis scharfe Kritik an der „kalten Gleichgültigkeit gepaart mit Gier“ , die zu Millionen von Todesfällen führte, offenbart eine tiefgreifende moralische Gefahr, die entsteht, wenn Wirtschaftswachstum zum „höchsten Gut“ wird.
Dies deutet darauf hin, dass das Streben nach Profit, wenn es nicht durch ethische oder regulatorische Rahmenbedingungen kontrolliert wird, grundlegende menschliche Empathie außer Kraft setzen und zu systemischen Gräueltaten führen kann.
Die historischen Beispiele sind keine Einzelfälle individueller Bosheit, sondern systemische Ergebnisse von Marktkräften, die ohne ausreichende externe Zwänge operieren. Das Argument, dass „der Kapitalismus Millionen aus kalter Gleichgültigkeit gepaart mit Gier getötet hat“ , impliziert, dass das System selbst, nicht nur einzelne Akteure, für weit verbreitetes Leid verantwortlich sein kann.
Dies weist auf eine kritische Spannung zwischen der Effizienz und der Reichtumsgenerierung des Kapitalismus und seinem Potenzial für immenses menschliches Leid hin, wenn er nicht durch eine robuste ethische und regulatorische Aufsicht ausgeglichen wird.
Der „Kult des freien Marktes“ wird daher als gefährlich naiv kritisiert, weil er diese inhärente moralische Gefahr und die historischen Beweise ihrer Folgen ignoriert.
Der Kult des freien Marktes:
Versprechen, Fallstricke und die Notwendigkeit der Regulierung
Eifrige Kapitalisten plädieren für minimale staatliche Einmischung in die Märkte und glauben, dass private Investoren, unbelastet von politischen Erwägungen, ihr Geld für maximalen Gewinn anlegen und so optimales Wirtschaftswachstum für alle gewährleisten.
Diese „Freie-Markt-Doktrin“ ist eine dominante Variante des kapitalistischen Glaubensbekenntnisses.
Harari vertritt jedoch die Ansicht, dass dieser Glaube „so naiv ist wie der Glaube an den Weihnachtsmann“. Märkte allein bieten keinen Schutz vor Betrug, Diebstahl und Gewalt.
Es ist die Aufgabe politischer Systeme, Vertrauen durch Gesetzgebung, Polizeikräfte, Gerichte und Gefängnisse zu gewährleisten. Historische Ereignisse wie die Mississippi-Blase und die US-Immobilienblase von 2007 dienen als deutliche Erinnerungen daran, wie Marktversagen auftreten können, wenn eine angemessene Regulierung und Aufsicht fehlen, was zu Vertrauensverlust, schwindenden Krediten und Wirtschaftskrisen führt.
Die Diskussion über Kreditratings und die Misserfolge der Mississippi-Blase und der US-Immobilienblase unterstreichen, dass wirtschaftliches Vertrauen eng mit politischer Stabilität und der Rechtsstaatlichkeit verknüpft ist.
Der Erfolg der Niederlande war nicht nur wirtschaftlich; er wurzelte in einem zuverlässigen Rechtssystem und dem Schutz privater Rechte.
Umgekehrt trugen die finanziellen Schwierigkeiten der französischen Monarchie, die durch die Mississippi-Blase noch verschärft wurden, direkt zur Französischen Revolution bei. Dies zeigt einen klaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang:
Politische Instabilität und mangelndes Vertrauen in die Regierungsführung wirken sich direkt auf die wirtschaftliche Lebensfähigkeit aus und führen zu Finanzkrisen, die wiederum soziale Unruhen und politische Umwälzungen auslösen können.
Die psychologischen Auswirkungen des Verlusts von Ersparnissen und das Potenzial für Radikalisierung aufgrund von Wirtschaftskrisen verstärken diesen Zusammenhang zusätzlich und legen nahe, dass wirtschaftliche Störungen nicht nur rein finanzielle Ereignisse sind, sondern tiefgreifende gesellschaftliche und politische Folgen haben, was die Notwendigkeit einer politischen Aufsicht über die Märkte unterstreicht.
Tabelle:
Schlüsselprinzipien und Auswirkungen des Kapitalismus
Prinzip/Konzept | Kernidee | Historische Auswirkungen (Positiv) | Historische Auswirkungen (Negativ) | Hararis Kritik |
Wachstum als höchstes Gut | Wirtschaftlicher Fortschritt ist unbegrenzt und essentiell für Wohlstand. | Enormes globales Wirtschaftswachstum; Steigerung der Pro-Kopf-Produktion | Ungleichmäßige Verteilung des Reichtums; Millionen leben in Armut trotz Wachstum | Kann zu Katastrophen führen, wenn unethisch ; „kolossaler Betrug“ |
Kredit | Repräsentiert imaginäre zukünftige Güter; ermöglicht Investitionen in die Gegenwart. | Finanzierung großer Projekte (z.B. Entdeckungsreisen, Industrie); „magischer Zirkel“ des Wachstums | Abhängigkeit von zukünftigem Vertrauen; kann zu Blasen und Zusammenbrüchen führen (z.B. Mississippi-Blase) | System basiert auf Vertrauen in eine imaginäre Zukunft; kann zu unhaltbaren Schulden führen |
Reinvestition von Gewinnen | Gewinne müssen in die Produktion zurückfließen, um mehr Gewinne zu generieren. | Ständige Innovation und Produktivitätssteigerung; Entstehung einer neuen Elite | Kann zu Ausbeutung führen, wenn Löhne gesenkt oder Arbeitszeiten erhöht werden | Gier kann Blindheit für ethische Bedenken verursachen |
„Gier ist gut“ (Adam Smith) | Egoistisches Streben nach Profit nützt der gesamten Gesellschaft. | Anreiz für Innovation und Effizienz; Schaffung von Arbeitsplätzen | Führt zu ungezügelter Ausbeutung, Sklaverei, kolonialen Gräueltaten | „Kapitalismus hat Millionen aus kalter Gleichgültigkeit gepaart mit Gier getötet“ |
Freier Markt | Minimale staatliche Einmischung führt zu optimalem Wachstum. | Effiziente Ressourcenallokation; Wettbewerb | Keine Schutzmechanismen gegen Betrug, Diebstahl, Gewalt; Marktversagen (z.B. Blasen) | „Naiv wie der Glaube an den Weihnachtsmann“; erfordert politische Regulierung |
Tabelle:
Bedeutende Fälle kapitalistisch angetriebener Ausbeutung
Ereignis/Kontext | Zeitraum | Hauptakteure | Triebkraft | Menschliche Kosten/Folgen |
Atlantischer Sklavenhandel | 16.-19. Jh. | Private Sklavenhandelsunternehmen, europäische Plantagenbesitzer | Nachfrage nach Zucker, Baumwolle; Profitstreben | ca. 10 Millionen afrikanische Sklaven nach Amerika verschleppt; „abscheuliche“ Arbeitsbedingungen; Millionen Tote |
Große Hungersnot in Bengalen | 1769-1770 | Britische Ostindien-Kompanie | Profitmaximierung; Export von Reis aus Bengalen | 10 Millionen Tote |
VOC-Kampagnen in Indonesien | 17.-19. Jh. | Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) | Sicherung kommerzieller Interessen; Maximierung der Aktionärsgewinne | Eroberung Indonesiens; Leid der lokalen Bevölkerung; „keine Rücksicht auf das Leid“ |
Kongo-Freistaat | 1885-1908 | König Leopold II. von Belgien (privat) | Kautschukgewinnung; Profitstreben | 6-10 Millionen Tote durch brutale Ausbeutung und Bestrafung |
Erster Opiumkrieg | 1840-1842 | Britische Regierung, Britische Drogenhändler | Schutz des Opiumhandels; „freier Handel“ | Millionen chinesische Opiumabhängige; Verlust der chinesischen Souveränität; Hongkong an Großbritannien |
IV. Die Große Entkopplung:
KI, menschlicher Wert und die Zukunft der Gesellschaft
Dieser entscheidende Abschnitt befasst sich mit den tiefgreifenden Auswirkungen der künstlichen Intelligenz, insbesondere der Entkopplung von Intelligenz und Bewusstsein, und ihrem Potenzial, den menschlichen Wert neu zu definieren, den Arbeitsmarkt umzugestalten, den Individualismus zu untergraben und Entscheidungsprozesse zu transformieren.
Intelligenz vs. Bewusstsein:
Neudefinition des menschlichen Nutzens im algorithmischen Zeitalter
Harari identifiziert drei kritische Bedrohungen für den Liberalismus im 21. Jahrhundert:
der Verlust der wirtschaftlichen und militärischen Nützlichkeit des Menschen, die Wertschätzung des Systems für Menschen als Kollektiv, aber nicht als einzigartige Individuen, und das Aufkommen einer neuen Elite von aufgerüsteten Supermenschen.
Der historische Erfolg des Liberalismus war eng mit dem wirtschaftlichen und militärischen Wert jedes Menschen verbunden, insbesondere in industriellen Massenkriegen und Produktionslinien, wo der Beitrag jedes Einzelnen zählte.
Moderne Armeen verlassen sich jedoch zunehmend auf Spitzentechnologie, benötigen nur noch wenige hochqualifizierte Soldaten und Experten, wobei kritische Entscheidungen an Algorithmen delegiert werden.
Cyberkriege, die potenziell nur wenige Minuten dauern, könnten Infrastruktur und Finanzsysteme lahmlegen und menschliche Reaktionszeiten irrelevant machen.
Harari deutet an, dass autonome Roboter und Drohnen ethischen Algorithmen sogar konsequenter entsprechen könnten als menschliche Soldaten. Im wirtschaftlichen Bereich nimmt der Wert traditioneller physischer und sogar vieler kognitiver Fähigkeiten ab.
Ein zentrales Argument Hararis ist die Entkopplung von Intelligenz und Bewusstsein.
Während hohe Intelligenz historisch mit entwickeltem Bewusstsein verbunden war (z. B. für Schach, Autofahren, Diagnose), können neue nicht-bewusste KIs solche Aufgaben durch überlegene Mustererkennung weitaus besser als Menschen erledigen.
Er kommt provokativ zu dem Schluss, dass für Armeen und Unternehmen „Intelligenz obligatorisch, aber Bewusstsein optional ist“.
Die Analogie menschlicher Taxifahrer, die den Weg der Pferde gehen, veranschaulicht, wie Menschen in Berufen ersetzt werden könnten, in denen Bewusstsein für die Bedürfnisse des Systems keine notwendige Komponente ist.
Die Automatisierung der Arbeit:
Von manuellen Aufgaben zu White-Collar-Berufen
Der Trend der Automatisierung ist bereits offensichtlich, da Roboter und 3D-Drucker Arbeitskräfte in der manuellen Fertigung ersetzen. Hochintelligente Algorithmen sind bereit, dasselbe für White-Collar-Berufe zu tun. Bankangestellte und Reisebüros, einst als sicher geltend, werden zu bedrohten Arten, da Smartphone-Apps und Algorithmen ihre Aufgaben übernehmen. Der Großteil des Finanzhandels wird heute bereits von Computeralgorithmen verwaltet, die Daten in Sekunden verarbeiten und viel schneller reagieren als Menschen, was zu Phänomenen wie „Flash Crashes“ führt, bei denen Billionen von Dollar innerhalb von Minuten verschwinden und wieder auftauchen können.
Selbst Berufe, die erhebliche kognitive Fähigkeiten erfordern, sind anfällig. Anwälte zum Beispiel sehen sich Algorithmen gegenüber, die Präzedenzfälle finden, Verträge analysieren und Dokumente schneller und umfassender zusammenfassen können als Menschen.
Das Potenzial von fMRT-Scannern, als „unfehlbare Wahrheitsmaschinen“ zu fungieren, könnte viele Rollen für Anwälte, Richter, Polizisten und Detektive obsolet machen. Im Bildungswesen entwickeln Unternehmen wie Mindojo interaktive Algorithmen, die das Lernen personalisieren, sich an individuelle Schülerpersönlichkeiten anpassen und niemals die Geduld verlieren.
Ärzte, insbesondere Allgemeinmediziner und Spezialisten in engen Bereichen wie der Krebsdiagnose, sind ebenfalls „Freiwild“. IBMs Watson, ein KI-System, demonstriert enorme Vorteile gegenüber menschlichen Ärzten aufgrund seiner Fähigkeit, riesige medizinische Datenbanken zu speichern, täglich zu aktualisieren, Patientengeschichten und Genome genau zu kennen und ohne Ermüdung oder Voreingenommenheit zu arbeiten.
Roboter-Apotheker haben bereits eine überlegene Genauigkeit gegenüber menschlichen Kollegen bewiesen. Selbst der Kundenservice wird transformiert, wobei Unternehmen wie Mattersight Corporation Algorithmen verwenden, um Anrufe an Vertreter weiterzuleiten, deren Persönlichkeiten am besten zur Stimmung des Kunden passen, wodurch eine „Persönlichkeitsverbindung“ hergestellt wird.
Auch im Bereich der künstlerischen Schöpfung, oft als einzigartiger menschlicher Zufluchtsort betrachtet, ist eine Anfälligkeit zu beobachten. David Copes EMI (Experiments in Musical Intelligence) komponierte 5.000 Choräle im Bach-Stil an einem einzigen Tag, und sein späteres Programm Annie, basierend auf maschinellem Lernen, erforscht Musik und Haiku-Poesie, wobei menschliche und maschinelle Outputs für Experten oft nicht zu unterscheiden sind. Jüngste Fortschritte zeigen, dass Unternehmen wie Suno und Udio vollständig komponierte Musik mit Texten und Gesang aus einfachen Textaufforderungen generieren können. Selbst Managementfunktionen sind nicht immun, da Uber Millionen von Taxifahrern mit einer Handvoll Menschen verwaltet und Deep Knowledge Ventures einen Algorithmus namens VITAL in seinen Vorstand berufen hat, um über Investitionen abzustimmen.
Das Aufkommen der „nutzlosen Klasse“:
Wirtschaftliche Irrelevanz und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen
Harari warnt vor der Entstehung einer „massiven neuen arbeitslosen Klasse: Menschen ohne jeglichen wirtschaftlichen, politischen oder gar künstlerischen Wert, die nichts zum Wohlstand, zur Macht und zum Ruhm der Gesellschaft beitragen“.
Diese Klasse wird nicht nur arbeitslos, sondern „unvermittelbar“ sein. Eine Oxford-Studie von Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne aus dem Jahr 2013 schätzte, dass 47 % der US-Arbeitsplätze in den nächsten zwanzig Jahren einem hohen Risiko ausgesetzt sind, von Computeralgorithmen übernommen zu werden.
Beispiele für Berufe mit hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit sind
Telefonverkäufer (99 %),
Versicherungsmathematiker (99 %),
Sport-Schiedsrichter (98 %),
Kassierer (97 %),
Köche (96 %),
Kellner (94 %),
Rechtsanwaltsgehilfen (94 %),
Reiseleiter (91 %),
Bäcker (89 %),
Busfahrer (89 %),
Bauarbeiter (88 %),
Tierarzthelfer (86 %),
Sicherheitskräfte (84 %),
Seeleute (83 %),
Barkeeper (77 %),
Archivare (76 %) und Zimmerleute (72 %).
Obwohl wahrscheinlich neue Berufe (z. B. Designer virtueller Welten) entstehen werden, stellt Harari die Frage, ob ältere Arbeitnehmer, die aus traditionellen Rollen verdrängt werden, in der Lage sein werden, sich an das rasante Tempo des technologischen Fortschritts anzupassen.
Das Kernproblem besteht nicht darin, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Menschen besser ausführen können als Algorithmen. Dies erfordert lebenslanges Lernen und kontinuierliche Neuerfindung als einzigen Weg für Menschen, auf dem Arbeitsmarkt relevant zu bleiben, eine Herausforderung, der viele möglicherweise nicht gewachsen sind.
Harari deutet an, dass technologische Fortschritte es ermöglichen könnten, diese „nutzlosen Massen“ ohne deren eigene Anstrengung zu versorgen, aber die entscheidende Herausforderung wird darin bestehen, sie zu beschäftigen und zufrieden zu stellen.
Er schlägt düster „Drogen und Computerspiele“ als mögliche Lösungen vor, was wiederum einen „tödlichen Schlag für den liberalen Glauben an die Heiligkeit des menschlichen Lebens und der menschlichen Erfahrungen“ bedeuten würde.
Wenn Algorithmen menschliche Arbeitskräfte verdrängen, könnten sich Reichtum und Macht in den Händen einer winzigen Elite konzentrieren, die diese mächtigen Algorithmen besitzt, was zu beispielloser sozialer und politischer Ungleichheit führen würde.
Harari postuliert sogar, dass Algorithmen selbst zu „juristischen Personen“ und Eigentümern werden könnten, was potenziell eine „algorithmische Oberschicht“ bilden könnte.
Die Prognose einer großen, nicht vermittelbaren „nutzlosen Klasse“ stellt über die wirtschaftlichen hinausgehende existenzielle Herausforderungen dar, die Sinn, psychische Gesundheit und soziale Stabilität betreffen. Hararis Warnung, dass die „nutzlose Klasse“ mit Ablenkungen „beschäftigt und zufrieden“ gehalten werden muss , verweist direkt auf die psychologische Forschung zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit.
Der Verlust der Arbeit betrifft nicht nur das Einkommen, sondern auch Identität, Sinn und sozialen Status. Wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen (UBI) nur minimale Almosen bietet , könnte es diese psychologischen Probleme verschärfen, anstatt sie zu lösen, indem es ein Gefühl der Nutzlosigkeit verstärkt.
Dies schafft einen fruchtbaren Boden für sozialen Zorn und Groll, der von radikalen Ideologien ausgenutzt werden kann , insbesondere wenn er mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und wahrgenommener Ungerechtigkeit einhergeht.
Die politischen Folgen von Finanzkrisen legen zudem nahe, dass diese technologische Disruption zu erheblicher gesellschaftlicher Fragmentierung und politischer Instabilität führen könnte, die Gesellschaften möglicherweise in Richtung Autoritarismus oder Populismus drängt, wenn die Sinnkrise nicht angegangen wird.
Die Erosion des Individualismus:
Algorithmen kennen uns besser als wir uns selbst
Der Aufstieg der Algorithmen stellt den liberalen Glauben an den Individualismus direkt in Frage, der auf drei Kernannahmen beruht:
(1) Das Individuum besitzt eine einzige, unteilbare Essenz und ein „authentisches Selbst“;
(2) dieses authentische Selbst ist völlig frei; und
(3) nur das Individuum hat Zugang zu seinem inneren Raum der Freiheit und kann sich selbst wirklich kennen.
Harari argumentiert jedoch, dass die Biowissenschaften diese Annahmen grundlegend in Frage stellen:
(1) Organismen (einschließlich Menschen) sind „Dividuals“ – eine Ansammlung vieler verschiedener Algorithmen, denen eine einzige innere Stimme oder ein einziges Selbst fehlt;
(2) menschliche Algorithmen sind nicht frei, sondern werden von Genen und Umwelteinflüssen geformt und treffen Entscheidungen entweder deterministisch oder zufällig; und
(3) externe Algorithmen könnten ein Individuum theoretisch „viel besser kennen, als ich mich jemals selbst kennen kann“, indem sie die biochemischen Systeme des Körpers und des Gehirns überwachen.
Die Technologie des 21. Jahrhunderts, so Harari, ermöglicht es externen Algorithmen, „die Menschheit zu hacken“ und Individuen weitaus besser zu kennen, als sie sich selbst kennen.
Dies wird zum Zusammenbruch des Glaubens an den Individualismus führen, wobei die Autorität von einzelnen Menschen auf vernetzte Algorithmen übergeht. Menschen werden sich zunehmend als biochemische Mechanismen wahrnehmen, die ständig von einem Netzwerk elektronischer Algorithmen überwacht und geleitet werden.
Dieser Wandel erfordert keinen perfekten Algorithmus, sondern nur einen, der einen besser kennt und weniger Fehler macht als man selbst.
Die Entkopplung von Intelligenz und Bewusstsein und der daraus resultierende Aufstieg von Algorithmen, die uns besser kennen als wir uns selbst, bedrohen direkt das liberale Ideal der individuellen Autonomie und des freien Willens.
Dies ist kein gewaltsamer Umsturz, sondern eine freiwillige Übergabe zugunsten von Bequemlichkeit und vermeintlich optimalen Ergebnissen. Hararis Kernargument ist, dass der Liberalismus auf der Prämisse des einzigartigen, freien, sich selbst kennenden Individuums aufbaut. Wenn Algorithmen eine überlegene Entscheidungsfindung in Bereichen von der Gesundheit (Angelina Jolies Mastektomie) über Beziehungen (Google berät bei Partnerwahl) bis hin zu politischen Entscheidungen (Google wählt) demonstrieren, wird die rationale Wahl darin bestehen, dem Algorithmus zu folgen.
Dies schafft eine subtile, aber tiefgreifende Verschiebung: Menschen werden zu „integralen Bestandteilen eines riesigen globalen Netzwerks“ , das von externen Algorithmen verwaltet wird.
Die „Quantified Self“-Bewegung ist eine reale Manifestation davon, bei der Selbsterkenntnis an die Datenanalyse ausgelagert wird.
Die Implikation ist eine Zukunft, in der das Konzept der individuellen Handlungsfähigkeit, wie es im Liberalismus verstanden wird, obsolet wird, nicht durch Zwang, sondern durch eine utilitaristische Akzeptanz der algorithmischen Überlegenheit, was zu einer „postliberalen Welt“ führt, in der die menschliche Selbstbestimmung erheblich eingeschränkt ist.
Privatsphäre im algorithmischen Zeitalter:
Das freiwillige Opfer für Bequemlichkeit und Gesundheit
Eine bedeutende Implikation dieser Verschiebung ist die Bereitschaft, Privatsphäre für wahrgenommene Vorteile zu opfern. Harari verwendet das Beispiel von Angelina Jolies Entscheidung für eine doppelte Mastektomie, basierend auf einem Gentest, der eine 87%ige Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Brustkrebs anzeigte, obwohl sie keine Symptome verspürte.
Ihre Entscheidung wurde von algorithmischen Daten und Zahlen beeinflusst, nicht von ihren persönlichen Gefühlen, was ein Vertrauen in algorithmische Erkenntnisse über die Intuition demonstriert.
Diese Bereitschaft erstreckt sich auf den Alltag, wo Menschen „freiwillig die Barrieren zum Schutz unserer privaten Räume abbauen“ könnten, um staatlichen Bürokratien und multinationalen Konzernen Zugang zu ihren „innersten Bereichen“ für eine verbesserte Gesundheit zu ermöglichen.
Zum Beispiel könnte Google Grippeepidemien in Minuten erkennen, indem es E-Mails und Suchbegriffe überwacht, viel schneller als traditionelle Gesundheitsdienste. Google Flu Trends (Verfolgung von Suchanfragen) und die ehrgeizigere Google Baseline Study (die darauf abzielt, ein „perfektes Gesundheitsprofil“ aus biometrischen Daten zu erstellen) sind bestehende Beispiele.
Der wachsende Markt für DNA-Tests, beispielhaft durch Unternehmen wie 23andMe, veranschaulicht diesen Trend zusätzlich. Durch die Bereitstellung von Speichelproben ermöglichen Einzelpersonen Unternehmen, ihre DNA zu analysieren und Vorhersagen über Gesundheitsrisiken und genetische Prädispositionen zu treffen.
Diese Daten, kombiniert mit anderen biometrischen Informationen von Wearables (z. B. intelligente Windeln, intelligente Armbänder, Kontaktlinsen, die den Glukosespiegel überprüfen), könnten einen „allwissenden medizinischen Gesundheitsdienst“ schaffen, der jeden Aspekt des Lebens einer Person überwacht.
Die „Quantified Self“-Bewegung, die glaubt, dass Selbsterkenntnis aus der Analyse biometrischer Daten stammt, verkörpert diese Ideologie.
Transformation der Entscheidungsfindung:
Von menschlicher Intuition zu algorithmischer Führung
Die zentrale Implikation für die Entscheidungsfindung ist, dass Algorithmen so gut darin werden, Entscheidungen für uns zu treffen, dass es „Wahnsinn wäre, ihrem Rat nicht zu folgen“.
Dies erstreckt sich auf persönliche Entscheidungen: Harari stellt sich eine Zukunft vor, in der Google Ratschläge zu Filmen, Urlauben, Studienfächern, Stellenangeboten und sogar romantischen Partnern gibt, basierend auf umfangreichen persönlichen Daten, biometrischen Verläufen und statistischen Datenbanken, die eine Wahrscheinlichkeit der Zufriedenheit liefern.
Dies würde dazu führen, dass Menschen nicht länger autonome Einheiten sind, die von ihrem „erzählenden Selbst“ geleitet werden, sondern integrale Bestandteile eines riesigen globalen Netzwerks.
Selbst politische Entscheidungen könnten überflüssig werden.
Liberale Gewohnheiten wie demokratische Wahlen könnten obsolet werden, weil Algorithmen wie Google politische Meinungen besser repräsentieren könnten als Individuen, indem sie alle vergangenen Daten speichern, biometrische Reaktionen auf Nachrichten analysieren und vorübergehende Verzerrungen wie Krankheiten kompensieren.
Eine Facebook-Studie zeigte bereits, dass ihr Algorithmus menschliche Persönlichkeiten und Neigungen besser beurteilen konnte als Freunde, Eltern und Ehepartner, basierend auf „Likes“, mit Auswirkungen auf die Identifizierung von Wechselwählern und die Beeinflussung von Wahlen.
Harari merkt an, dass persönliche Daten, die oft kostenlos für Dienste bereitgestellt werden, „die wertvollste Ressource sind, die die meisten Menschen noch zu bieten haben“.
Algorithmen könnten sich von „Orakeln“ (die Ratschläge geben) zu „Agenten“ (die Ziele ohne Aufsicht ausführen) und schließlich zu „Souveränen“ (die Wünsche manipulieren und Entscheidungen treffen) entwickeln. Waze, eine GPS-App, dient als Beispiel: Zunächst ein Orakel, könnte sie in einem selbstfahrenden Auto zu einem Agenten werden und dann zu einem Souverän, indem sie den Verkehrsfluss für optimale systemweite Ergebnisse manipuliert, selbst wenn dies bedeutet, Informationen vor einigen Fahrern zurückzuhalten.
Persönliche Assistenten wie Microsofts Cortana, Google Now und Apples Siri bewegen sich in die gleiche Richtung, gewinnen zunehmend an Autorität, treffen Entscheidungen und interagieren sogar miteinander im Namen ihrer „Herren“.
Dies könnte zu einer Zukunft führen, in der „der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt oder dem Heiratsmarkt zunehmend von der Qualität Ihrer Cortana abhängt“.
Geräte wie Amazons Kindle könnten die Lesegewohnheiten, Herzfrequenz und den Blutdruck der Benutzer überwachen und wissen, „wie man sie an- und ausschaltet“. Letztendlich, so Harari, könnte die Trennung von diesem allwissenden Netzwerk den Tod bedeuten, da zukünftige Menschen biometrische Geräte und Nanoroboter in ihre Körper integrieren, die 24/7 online sein müssen, um Updates und Sicherheit zu gewährleisten.
Er schreibt diesen tiefgreifenden Trend nicht primär der Computerwissenschaft zu, sondern biologischen Erkenntnissen, die zu dem Schluss kommen, dass „Organismen Algorithmen sind“, wodurch die Mauer zwischen Organischem und Anorganischem abgebaut und die Autorität von einzelnen Menschen auf vernetzte Algorithmen verlagert wird.
Er warnt, dass dies zu einem Orwellschen Polizeistaat führen könnte, aber wahrscheinlicher ist, dass sich das Individuum „sanft von innen auflösen“ wird.
Tabelle:
KI-Fähigkeiten übertreffen menschliche Leistung (ausgewählte Beispiele)
Bereich | KI-System/Tool | Menschliches Gegenstück | Wie KI den Menschen übertrifft |
Schach | IBM Deep Blue | Garry Kasparov (Weltmeister) | Überlegene Rechenleistung, Datenverarbeitung, Strategie |
Go | Google AlphaGo | Lee Sedol (Weltmeister) | Unorthodoxe, originelle Strategien; Lernen durch maschinelles Lernen |
Medizinische Diagnose | IBM Watson | Menschliche Ärzte (Allgemeinmediziner, Spezialisten) | Zugriff auf riesige Datenbanken, tägliche Updates, persönliche Patientenhistorien, keine Ermüdung/Voreingenommenheit |
Apotheke | Roboter-Apotheker (San Francisco) | Menschliche Apotheker | Fehlerquote von 0 % vs. 1,7 % bei Menschen; 2 Millionen Rezepte ohne Fehler |
Rechtsforschung/Analyse | CoCounsel, SpotDraft | Anwälte, Rechtsanwaltsgehilfen | Schnelleres Durchsuchen von Dokumenten, Extrahieren von Schlüsselbegriffen, Zusammenfassungen, Vorhersage von Fallergebnissen |
Musikkomposition | EMI (David Cope), Suno, Udio | Menschliche Komponisten | Generierung von Tausenden von Chorälen pro Tag; Imitation von Stilen; Erstellung vollständiger Lieder aus Textprompts |
Börsenhandel | Algorithmen | Menschliche Händler | Verarbeitung von Daten in Sekunden; Reaktion in Millisekunden; verursachen „Flash Crashes“ |
Persönlichkeitsanalyse | Facebook-Algorithmus | Freunde, Eltern, Ehepartner | Bessere Vorhersage von Meinungen und Wünschen basierend auf „Likes“ |
Verkehrsmanagement | Waze (potenziell souverän) | Menschliche Fahrer | Optimierung des Verkehrsflusses durch Manipulation von Informationen |
Tabelle:
Berufe mit hohem Automatisierungsrisiko (basierend auf Frey & Osborne Studie, 2013)
Beruf | Wahrscheinlichkeit der Automatisierung bis 2033 (%) | Betroffene Hauptfähigkeiten |
Telefonverkäufer | 99 | Routine kognitive Aufgaben, Datenverarbeitung |
Versicherungsmathematiker | 99 | Routine kognitive Aufgaben, Datenverarbeitung |
Sport-Schiedsrichter | 98 | Mustererkennung, Regelanwendung |
Kassierer | 97 | Routine manuelle Aufgaben, Transaktionsverarbeitung |
Köche | 96 | Routine manuelle Aufgaben, Rezeptausführung |
Kellner | 94 | Routine manuelle Aufgaben, Interaktion |
Rechtsanwaltsgehilfen | 94 | Routine kognitive Aufgaben, Dokumentenanalyse |
Reiseleiter | 91 | Informationsvermittlung, Routineinteraktion |
Bäcker | 89 | Routine manuelle Aufgaben, Rezeptausführung |
Busfahrer | 89 | Routine manuelle Aufgaben, Navigation |
Bauarbeiter | 88 | Routine manuelle Aufgaben |
Tierarzthelfer | 86 | Routine manuelle Aufgaben, einfache Interaktion |
Sicherheitskräfte | 84 | Überwachung, Routineentscheidungen |
Seeleute | 83 | Routine manuelle Aufgaben, Navigation |
Barkeeper | 77 | Routine manuelle Aufgaben, einfache Interaktion |
Archivare | 76 | Datenorganisation, Mustererkennung |
Zimmerleute | 72 | Routine manuelle Aufgaben, Präzisionsarbeit |
Rettungsschwimmer | 67 | Überwachung, Routineentscheidungen |
V. Die Zukunft navigieren:
Herausforderungen, Antworten und ethische Imperative
Dieser zentrale Abschnitt untersucht mögliche gesellschaftliche Reaktionen auf die Herausforderungen, die KI und der fortgeschrittene Kapitalismus mit sich bringen, einschließlich politischer Vorschläge wie des Bedingungslosen Grundeinkommens, des psychologischen Tributs wirtschaftlicher Störungen, der drohenden Gefahr biologischer Ungleichheit und der kritischen Notwendigkeit einer ethischen Steuerung der KI.
Gesellschaftliche Reaktionen auf Automatisierung:
Das Versprechen und die Gefahr des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE)
Da KI und Automatisierung zunehmend menschliche Arbeitskräfte verdrängen, hat sich das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als potenzieller „neuer Gesellschaftsvertrag“ und Sicherheitsnetz herauskristallisiert. Das BGE zielt darauf ab, zentrale Herausforderungen wie Lohnungleichheit, Arbeitsplatzunsicherheit und weit verbreiteten Arbeitsplatzverlust zu bewältigen, indem es allen Bürgern ein garantiertes Mindesteinkommen bietet, unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus oder anderen Faktoren.
Das Konzept hat eine lange Geschichte, wobei frühe Versionen bis ins antike Athen zurückreichen und moderne Formulierungen von Denkern wie Thomas Paine und Joseph Charlier stammen.
In den letzten vier Jahrzehnten wurden weltweit über 160 BGE-Tests oder -Pilotprojekte durchgeführt, davon über 38 in Europa, Nordamerika und Asien seit 2015.
Diese Studien zeigen im Allgemeinen positive Auswirkungen auf Armutsbekämpfung, Gesundheit und Bildungsergebnisse, obwohl die Evidenz hinsichtlich der Auswirkungen auf die Beschäftigung weniger klar ist, wobei einige neuere Studien positive Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden nahelegen.
Eine erhebliche Gefahr des BGE ist jedoch, dass es „dieses Problem nur noch verschärfen könnte“. Kritiker argumentieren, dass das BGE, indem es Menschen an minimale Almosen gewöhnt, die Abhängigkeit erhöhen und die Überzeugung verstärken könnte, dass Individuen nichts Sinnvolles zur Gesellschaft beizutragen haben, was psychische Probleme und eine Sinnkrise verschärfen würde.
Die psychologische und soziale Landschaft der Disruption:
Psychische Gesundheit, Sinn und potenzielle Unruhen
Langzeitarbeitslosigkeit ist stark mit Depressionen, psychischen Erkrankungen und höheren Suizidraten verbunden.
Die Verdrängung von Arbeitskräften durch KI schafft eine tiefgreifende „Sinnkrise“ für Individuen, die sich unerwünscht und unnötig fühlen. Arbeit ist nicht nur eine Einkommensquelle, sondern ein Schlüsselbestandteil von Identität und sozialem Status; ihr Verlust kann zu Gefühlen der Minderwertigkeit, des Grolls und der Aggression führen.
Finanzieller Stress, der aus Arbeitsplatzverlust oder wirtschaftlicher Unsicherheit resultiert, beeinträchtigt die psychische Gesundheit erheblich und führt zu Angstzuständen, Depressionen, Substanzmissbrauch und angespannten Beziehungen.
Die subjektive Wahrnehmung finanzieller Not ist oft wichtiger als die objektiven Fakten. Historisch gesehen waren Perioden wirtschaftlicher Turbulenzen und Hyperinflation (z. B. Weimarer Republik) mit politischem Extremismus und sozialen Unruhen verbunden, obwohl der direkte kausale Zusammenhang zwischen Hyperinflation und dem Aufstieg des Nationalsozialismus umstritten ist.
Finanzkrisen haben auch zu einer verstärkten politischen Polarisierung geführt. Wirtschaftliche Not kann kulturelle und politische Spaltungen verstärken, anstatt nur wirtschaftliche.
Radikale Parteien gewinnen oft an Wählergunst, wenn die Bürger während anhaltender Krisen die Geduld mit den etablierten politischen Parteien verlieren.
Die wachsende Kluft:
Ungleichheit verstärken und der Aufstieg der Supermenschen
Die dritte große Bedrohung für den Liberalismus ist das potenzielle Aufkommen einer kleinen, privilegierten Elite von „aufgerüsteten Supermenschen“.
Diese Individuen würden „ungeahnte Fähigkeiten und beispiellose Kreativität“ besitzen, die es ihnen ermöglichen würden, weiterhin entscheidende Entscheidungen in der Welt zu treffen, während die Mehrheit der Menschen zu einer „minderwertigen Kaste“ würde, die sowohl von Algorithmen als auch von diesen neuen Supermenschen beherrscht wird.
Der Liberalismus toleriert zwar sozioökonomische Unterschiede, setzt aber grundsätzlich voraus, dass alle Menschen den gleichen Wert und die gleiche Autorität haben.
Dieses Fundament wird jedoch durch das Potenzial realer biologischer Unterschiede bedroht, die sich aus teuren Gentests und neuen medizinischen Verfahren ergeben. Angelina Jolies 3.000-Dollar-Gentest für die BRCA1-Mutation, im Gegensatz zu Milliarden von Menschen, die weniger als 1-2 Dollar pro Tag verdienen, verdeutlicht die bestehende wirtschaftliche Ungleichheit, die sich in biologische Schichtung übersetzen könnte.
Die Tatsache, dass die 62 reichsten Menschen im Jahr 2016 so viel Vermögen besaßen wie die ärmsten 3,6 Milliarden Menschen, unterstreicht diese wachsende Kluft.
Harari argumentiert, dass die Erwartung, dass medizinische Durchbrüche letztendlich allen zugutekommen werden (wie Impfstoffe und Antibiotika im 20. Jahrhundert), aus zwei Gründen „Wunschdenken“ sein könnte :
Konzeptuelle Revolution in der Medizin:
Die Medizin des 20. Jahrhunderts zielte darauf ab, „Kranke zu heilen“ (ein egalitäres Projekt, das auf einer universellen Gesundheitsnorm basierte), während die Medizin des 21. Jahrhunderts zunehmend darauf abzielt, „Gesunde aufzurüsten“ (ein elitäres Projekt, das darauf abzielt, einigen Individuen einen Vorteil gegenüber anderen zu verschaffen). Diese Upgrades würden zur neuen Basislinie werden und sicherstellen, dass die Elite immer „ein paar Schritte voraus“ bleibt.
Verlust des Interesses der Elite an der Massengesundheitsversorgung:
Da menschliche Soldaten und Arbeiter aufgrund von Algorithmen obsolet werden, könnten Eliten zu dem Schluss kommen, dass es „keinen Sinn hat, den Massen nutzloser Armer eine verbesserte oder gar standardmäßige Gesundheitsversorgung zu bieten“. Stattdessen könnte es als sinnvoller erachtet werden, Ressourcen auf die „Aufrüstung einer Handvoll Supermenschen über die Norm hinaus“ zu konzentrieren. Harari verwendet die Analogie eines „langen Zuges“, bei dem Eliten in der ersten Klasse „die nutzlosen Waggons der dritten Klasse loslassen“ könnten, um global wettbewerbsfähig zu bleiben.
Diese biologische Divergenz könnte zu Supermenschen mit grundlegend anderen Erfahrungen als normale Sapiens führen, was traditionelle menschliche Narrative (z. B. Romane über „niedrige Sapiens-Diebe“) als langweilig erscheinen lassen und Supermenschen-Erfahrungen für die Massen unverständlich machen könnte.
Der Wandel vom egalitären „Kranke heilen“ zum elitären „Gesunde aufrüsten“ könnte eine unumkehrbare biologische Schichtung schaffen, die den liberalen Glauben an den gleichen Wert aller Menschen grundlegend in Frage stellt.
Die historischen Beispiele für die „dunkle Seite“ des Kapitalismus zeigen, dass ungezügelte wirtschaftliche Triebkräfte zu immensem menschlichem Leid führen können.
Die aktuellen Diskussionen über KI-Ethik sind eine direkte Reaktion auf das Potenzial für ähnliche oder sogar größere Schäden im algorithmischen Zeitalter.
Die Risiken von Voreingenommenheit, Datenschutzverletzungen und Verantwortlichkeitslücken in der KI zeigen, dass es nicht ausreicht, „freien Märkten“ die Entwicklung von KI zu überlassen. Die Betonung einer „menschenzentrierten Entwicklung“ und der „Minderung von Voreingenommenheit“ in den KI-Ethikprinzipien spiegelt die Erkenntnis wider, dass Technologie von menschlichen Werten geleitet werden muss, nicht nur von Effizienz oder Profit.
Dies impliziert eine kritische, dringende Rolle für Regierungen, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Zukunft der KI, um eine Wiederholung eines „kapitalistischen Höllen“-Szenarios in einem neuen, technologischen Maßstab zu verhindern, was einen globalen ethischen Konsens erfordert.
Ethische Steuerung der KI:
Prinzipien für verantwortungsvolle Entwicklung und Bereitstellung
Der rasche Fortschritt der KI erfordert robuste ethische Richtlinien, um Risiken zu mindern und eine verantwortungsvolle Entwicklung zu gewährleisten.
Prinzipien von Organisationen wie der US-Geheimdienstgemeinschaft betonen:
die Achtung der Menschenwürde, -rechte und -freiheiten; Transparenz und Rechenschaftspflicht bei Methoden und Ergebnissen;
Objektivität und Gerechtigkeit durch Voreingenommenheitsminderung;
menschenzentrierte Entwicklung, die menschliches Urteilsvermögen stärkt;
und sicheres und widerstandsfähiges Design.
Die Prinzipien der Vereinten Nationen für den ethischen Einsatz von KI, die auf Ethik und Menschenrechten basieren, umfassen:
keinen Schaden anrichten;
definierten Zweck, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit;
Sicherheit und Schutz;
Fairness und Nichtdiskriminierung;
Nachhaltigkeit;
Recht auf Privatsphäre, Datenschutz und Datenverwaltung;
und menschliche Autonomie. Spezifische Risiken in der Rechts-KI umfassen beispielsweise inhärente Verzerrungen aus Trainingsdaten (z. B. Geschlechtervoreingenommenheit bei Einstellungsalgorithmen), Bedrohungen der Vertraulichkeit von Klienten bei der Verwendung von KI-Tools und komplexe Fragen bezüglich des Eigentums und Urheberrechts an KI-generierten Inhalten.
Juristen haben beispielsweise eine ethische Pflicht zur Kompetenz, die nun explizit das Verständnis der Fähigkeiten und Grenzen von KI umfasst und eine erhebliche menschliche Aufsicht für KI-gestützte Entscheidungen erfordert.
Das Gebot der Anpassung:
Lebenslanges Lernen und Neuerfindung in einer dynamischen Welt
Das traditionelle Lebensmodell, das in eine Lernphase und eine Arbeitsphase unterteilt ist, wird „völlig obsolet“.
Um in einer zunehmend automatisierten Welt relevant zu bleiben, müssen Menschen sich kontinuierlich lebenslang weiterbilden und „sich wiederholt neu erfinden“.
Harari warnt jedoch, dass viele, wenn nicht die meisten Menschen, möglicherweise nicht in der Lage sein werden, sich an dieses unerbittliche Tempo des Wandels anzupassen.
Die menschliche Spezialisierung, die komplexe Gesellschaften ermöglichte, macht den Menschen paradoxerweise auch anfälliger für algorithmische Verdrängung.
Jäger-Sammler waren Generalisten, die schwerer zu automatisieren waren;
moderne Fachleute sind Spezialisten, die leichter zu ersetzen sind.
Die Effizienzgewinne durch Spezialisierung, die den Kapitalismus antrieben, schaffen nun eine Schwachstelle gegenüber der KI. KI ist hervorragend darin, enge, spezialisierte Aufgaben zu meistern (wie Schach, Rechtsforschung, medizinische Diagnose), indem sie riesige Datensätze verarbeitet und Muster erkennt. Menschliche Generalistenfähigkeiten (wie Empathie, komplexe Problemlösung in unstrukturierten Umgebungen, Kreativität jenseits bloßer Mustererkennung) sind für die aktuelle KI schwerer zu replizieren.
Harari stellt jedoch auch die Idee der Kunst als Zufluchtsort in Frage und deutet an, dass selbst diese anfällig ist.
Die Implikation ist ein kontinuierliches, sich beschleunigendes Rennen für Menschen, um neue „einzigartig menschliche“ Nischen zu finden und zu definieren, die selbst vorübergehend sein können, was zu ständigen gesellschaftlichen Umwälzungen und einer potenziellen Unfähigkeit großer Teile der Bevölkerung zur Anpassung führt.
Schlussfolgerungen
Die Geschichte des Geldes ist eine Geschichte des Vertrauens und der menschlichen Vorstellungskraft, die von einfachen Tauschsystemen zu komplexen digitalen Netzwerken führte. Während Geld die Zusammenarbeit in beispiellosem Maße ermöglichte und den Aufstieg des Kapitalismus als Motor für immenses Wachstum vorantrieb, offenbart sich eine tiefgreifende Dualität.
Der Kapitalismus, angetrieben von der Ethik der Gier und der Reinvestition, hat zwar unermesslichen Reichtum geschaffen und die globale Vernetzung vorangetrieben, aber auch eine dunkle Seite gezeigt, die durch Ausbeutung, Sklaverei und koloniale Gräueltaten gekennzeichnet ist, bei denen das Streben nach Profit ethische Überlegungen außer Kraft setzte.
Die voranschreitende Ära der Künstlichen Intelligenz stellt die Menschheit vor eine noch tiefgreifendere Transformation.
Die Entkopplung von Intelligenz und Bewusstsein droht, den menschlichen Wert neu zu definieren und eine „nutzlose Klasse“ von Arbeitskräften zu schaffen, die durch Algorithmen ersetzt werden. Dies stellt nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine existenzielle Krise dar, die Fragen nach Sinn, psychischer Gesundheit und sozialem Zusammenhalt aufwirft. Gleichzeitig untergräbt die Fähigkeit von Algorithmen, den Menschen besser zu kennen als er sich selbst, die liberale Vorstellung vom autonomen Individuum und verlagert die Entscheidungsautorität zunehmend auf vernetzte Systeme.
Darüber hinaus birgt die Möglichkeit, „Gesunde aufzurüsten“, das Potenzial für eine beispiellose biologische Ungleichheit, die die liberalen Ideale des gleichen menschlichen Wertes fundamental in Frage stellt und das Entstehen einer neuen Supermenschen-Kaste fördern könnte. Angesichts dieser Herausforderungen ist eine proaktive und ethische Steuerung der KI von entscheidender Bedeutung, um die Wiederholung vergangener Ausbeutungsmuster zu verhindern und sicherzustellen, dass technologische Fortschritte dem menschlichen Wohlergehen dienen.
Die Zukunft erfordert eine ständige Neuerfindung des Menschen und eine Neudefinition des Gesellschaftsvertrags, um die psychologischen und sozialen Folgen dieser großen Entkopplung zu bewältigen und eine Zukunft zu gestalten, die über die bloße Effizienz hinausgeht und den intrinsischen Wert des menschlichen Lebens bewahrt.
