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Wirtschaftskrisen und Krieg – Historische und theoretische Perspektiven

  • Autorenbild: Mike Miller
    Mike Miller
  • 7. Juli
  • 5 Min. Lesezeit
Weltwirtschaftskrise: „Zuerst ist dein Geld weg – dann bist du bereit für den Krieg“
Der systemische Zusammenhang zwischen Hyperinflation, Staatsbankrott und Krieg als politisch-wirtschaftliche Lösung

Die Idee, dass ein Staat politische oder militärische Konflikte nutzt, um interne wirtschaftliche Probleme zu lösen oder zu kaschieren, ist in der Geschichtswissenschaft unter dem Stichwort Sozialimperialismus bekannt. Danach dienen Kriege teils als Ventil, um von inneren Krisen abzulenken, anstatt diese gezielt zu beheben. Historisch gibt es Hinweise darauf, dass schwere Finanzkrisen und Kriege eng zusammenfielen. Im Folgenden wird anhand ausgewählter Beispiele (z.B. Deutschland nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, USA während der Großen Depression, 1930er-Jahre in Japan/Italien) untersucht, ob Kriege als „Lösung“ für Staatsverschuldung, Hyperinflation oder Wirtschaftsstagnation dienen konnten. Wirtschaftswissenschaftliche Theorien (Keynesianismus, Staatsfinanzierung, Sozialimperialismus) werden herangezogen, um das Phänomen zu analysieren.


Zu den Erkenntnissen zählen: Kriegsfinanzierung durch Schulden und Gelddruck führt meist zu Inflation statt Wohlstand, während massive Rüstungsausgaben kurzfristig Beschäftigung schaffen können – langfristig aber enorme Kosten (Zerstörung, Reparationslasten) bleiben.


Historische Beispiele


Deutschland nach Erstem Weltkrieg (1919–1923): 

Die massive Staatsverschuldung aus dem Krieg finanzierte die Reichsregierung vor allem durch Anleihen und Geldschöpfung. Dadurch verfünffachte sich die Geldmenge zwischen 1914 und 1918, obwohl die Güterproduktion kaum stieg. Auch nach Kriegsende setzten sich Defizite und Reparationen fort, was eine immer weiter steigende Inflation auslöste. In der Grafik unten ist der Dollar-Wechselkurs der Mark von 1919 bis 1923 logarithmisch dargestellt. Die Geldentwertung explodierte besonders nach 1922 (Hyperinflation) – als die Reichsregierung immer mehr Noten drucken musste (z.B. zur Finanzierung des passiven Widerstandes im Ruhrkampf). Schließlich wurde 1923 die Rentenmark eingeführt und die Inflation gestoppt.


Dabei wurde praktisch alle Staatsverschuldung entwertet: Die ursprünglich rund 154 Mrd. Mark hohen Kriegsschulden waren 1923 de facto wertlos geworden.

Die Hyperinflation 1923 ist vor allem auf die Kriegsfinanzierung zurückzuführen.


Deutschland in der Weltwirtschaftskrise und nationalsozialistischer Aufrüstung (1929–1939): Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 traf die Weimarer Wirtschaft hart. Als die NSDAP 1933 an die Macht kam, wurden Arbeitsprogramme (z.B. Autobahnbau) gestartet. Durch massive Aufrüstung und staatliche Investitionen halbierte sich die Arbeitslosigkeit bis 1937, so dass „Vollbeschäftigung“ erreicht schien. Joseph Goebbels rief 1943 den „totalen Krieg“ aus, sodass ab dann nahezu alle personellen und materiellen Ressourcen in die Rüstung flossen.


Nach nationalsozialistischer Propaganda habe diese Politik „enorme Mengen Geld“ für Rüstung und Infrastruktur ausgegeben und so die Depression beseitigt. Tatsächlich stabilisierte sich das BIP und die Beschäftigung – auf Kosten geringer Löhne und Kontrolle (Devisenlenkungen, Zwangsarbeit). Der Schein des Erfolgs beruhte jedoch auf immer höheren Staatsausgaben: Westliche Demokratien gaben im Weltkrieg bis zu 80 % ihres Gesamteinkommens für Kriegsanstrengungen aus. Nach Kriegsende hinterließ der Krieg eine vollständig zerstörte Wirtschaft.


USA während der Weltwirtschaftskrise (1929–1945): 

Die Große Depression führte zu Massenarbeitslosigkeit. Erst der Zweite Weltkrieg beendete die Krise: Die US-Regierung mobilisierte Industrie und Arbeit, um Kriegsmaterial für die Alliierten zu produzieren. In der Folge stieg die Produktion stark, Arbeitslosigkeit verschwand. Wie der Historiker Robert Skidelsky feststellt, „erholten sich die westlichen Demokratien erst im Weltkrieg und durch den Weltkrieg“. Die Regierungsausgaben stiegen dramatisch an, doch diese Kriegswirtschaft mündete nach 1945 nicht in langfristigen Wohlstand: Wartungs- und Umstellungsprobleme sowie Inflation setzten wieder ein (s. Nachkriegsrezession 1946).


Andere Beispiele: 

Auch in Italien und Japan verschärften Krisen in den 1930er Jahren die außenpolitischen Spannungen. Die Weltwirtschaftskrise „beschleunigte das Wachstum von Militarismus, Faschismus und Totalitarismus in Japan, Italien und Deutschland“, heißt es in einer historischen Analyse. In Japan führte dies 1931 zum Überfall auf die Mandschurei, um Ressourcen zu sichern. In Russland (Zaristreich 1917) führte die schwere Kriegswirtschaft zu Revolution und Staatskrise statt zu einer geordneten Lösung. In China endete die Hyperinflation der Kuomintang 1948 letztlich im Machtwechsel zugunsten der Kommunisten (ohne dass ein Krieg „gelöst“ wurde).


Staat

Krise

Krieg/Militäraktion

Ergebnis

Deutschland

1918–23: Hyperinflation, Kriegsfolgen

— (nach 1918: keine Außenkriege)

Einführung der Rentenmark 1923; Schuldenentwertung

Deutschland (NS)

1930er: Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit

1939–45: Zweiter Weltkrieg (Aggressionskrieg)

Kurzfristig Vollbeschäftigung durch Rüstung; langfristig totale Zerstörung (1945)

Vereinigte Staaten

1929–33: Große Depression

1941–45: Zweiter Weltkrieg (Gegenaggression)

Depression endete durch Kriegswirtschaft (Rüstungsboom)

Japan

1930er: Wirtschaftsstagnation

1931–45: Eroberungen in China/Pazifik

Kurzfristig Nachfrage durch Kriegsproduktion; Kriegsende 1945 wirtschaftliche Katastrophe

Italien

1930er: Krise, Staatsverschuldung

1935–36: Äthiopien-Krieg; 1940–43: Beitritt WW2

Kriegswirtschaft erhöhte Rüstungsausgaben; Zusammenbruch 1943/45

Russland/UDSSR

1917: Staatskollaps, 1998: Rubelkrise

1914–17: WK I; 1941–45: Kriegsallianz

1917 Revolution; 1998 kein Krieg als Lösung

China

1940er: Hyperinflation, Bürgerkrieg

1937–45: Zweiter Japanisch-Chinesischer Krieg

Konsumgüterkrise durch Krieg; 1949 Machtwechsel zu Mao


Wirtschaftliche Analyse

Wirtschaftstheoretisch lässt sich der Kriegseinsatz im Krisenfall aus mehreren Blickwinkeln beurteilen:


  • Keynesianische Kriegsökonomie: 

    Nach keynesianischer Logik kann massive Staatsnachfrage – etwa durch Rüstungsausgaben – eine Konjunkturkrise mildern. Tatsächlich führten im Zweiten Weltkrieg Rüstungsprogramme in den USA, Großbritannien und Deutschland zu starkem Produktionswachstum. Robert Skidelsky betont, dass sich die Demokratie erst im Krieg erholte, als die Regierungen bis zu 80 % ihres Einkommens verausgabten. Dieser „militärische Keynesianismus“ erzeugte jedoch nur einen temporären Aufschwung. Zudem sind zivile Konsumausgaben entfallen und nach Kriegsende entstanden Anpassungsprobleme.


  • Staatsfinanzierung und Inflation: 

    Kriege werden oft über Schulden und Gelddrucken finanziert. In Deutschland etwa deckte man die Kriegskosten des Ersten Weltkriegs fast ausschließlich durch Anleihen und Notenbankkredit, nicht über Steuern. Dieser enorme Geldmengenanstieg führte zu galoppierender Inflation; die Hyperinflation 1923 machte faktisch alle Verbindlichkeiten wertlos. Die Inflation erwies sich damit als verdeckte Enteignung der Gläubiger:


    Am Tag der Rentenmark-Einführung 1923 war der damalige Kriegsanleihenstand von 154 Mrd. Mark nur noch 15 Pfennige wert. Ähnlich wurde im Zweiten Weltkrieg die Rüstungsfinanzierung über das druckfrische Geld der Reichsbank gesteuert, versteckt durch Preisstopps und Rationierungen – bis die massive Geldentwertung 1948 in einer Währungsreform und Vermögensverlusten für Sparer endete.


  • Sozialimperialismus / Ablenkung: 

    Nach der Theorie des Sozialimperialismus benutzen Regierungen Kriege, um innenpolitische Probleme zu überdecken. Hannah Arendt fasste dies drastisch zusammen: Die verkrusteten sozialen und politischen Strukturen am Ende des 19. Jahrhunderts konnten ihrer Ansicht nach nur durch zwei Weltkriege „gelöst“ werden. In Krisenzeiten wachsender Unzufriedenheit wurde in der Vergangenheit häufig auf aggressive Außenpolitik gesetzt. So zeigt ein bpb-Artikel, dass die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre direkt zu einer aggressiven Expansion in Japan, Italien und Deutschland führte. In diesem Sinne konnten Kriege kurzfristig nationale Einheit stiften oder Arbeitslosigkeit „verstecken“ (z.B. durch Zwangs- und Soldatenarbeit), boten aber keine echten Lösungen für die wirtschaftlichen Ursachen der Krise.


  • Gesamtkosten des Krieges: 

    Ökonomische Analysen betonen, dass die langfristigen Kosten eines Krieges die kurzfristigen Vorteile übersteigen. Neben den direkten Militärausgaben fallen ungeheure Folgekosten an (Todesopfer, Zerstörung von Infrastruktur, Reparationszahlungen, Wiederaufbau). Ein ökonomisches Gutachten der österreichischen Regierung kommt zu dem Schluss: Kriege sind volkswirtschaftlich „unrentabel“, weil ihre realen Kosten ein Vielfaches der reinen Rüstungsausgaben betragen. Zudem führt jeder Krieg zu Rationierungen, Versorgungsknappheiten und einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten.


  • Schuldenstruktur und „Hidden Debt“: 

    Gerade nach einer Währungskrise oder Staatspleite können manche Länder versuchen, sich mittels Eroberung oder Reparationszahlungen von Schuldentraglast zu befreien (z.B. Indemnitätsforderungen). Doch moderne Finanzmärkte und internationale Verträge erlauben kaum ein endgültiges „Entkommen“ über Krieg. Vielmehr werden Schulden im Frieden restrukturiert oder notfalls per Währungsreform gekappt – oft verbunden mit erheblichen sozialen Opfern.


Zusammenfassend zeigt die wirtschaftliche Forschung, dass Kriege allenfalls kurzfristig einzelne Problemaspekte wie Arbeitslosigkeit abmildern können (durch hohe Staatsnachfrage), langfristig aber weitere ökonomische Schäden nach sich ziehen. Kriegsgüterproduktion geht zu Lasten ziviler Konsumgüterproduktion, und die Schuldenfinanzierung treibt die Inflation.


Schlussfolgerung

Die historische und theoretische Analyse legt nahe:


Kriege lösen die zugrundeliegenden Finanz- und Wirtschaftskrisen nicht, sondern verlagern oder überdecken sie nur vorübergehend. Nach dem Ersten Weltkrieg endete die Hyperinflation zwar mit einer Währungsreform, aber die Lasten (zerstörte Wirtschaft, hohe Auslandsschulden) blieben bestehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte in Deutschland und andernorts ein Nachkriegsboom, doch dieser beruhte vor allem auf Friedenspolitik (Währungsreform, Marshallplan, Wirtschaftsintegration) und nicht auf Krieg fortbestehender Ressourcen. Akademiker heben hervor, dass Kriege als “Rettungsversuche” für überalterte Gesellschaften dienten, die strukturellen Krisen jedoch erst durch drastische Systemänderungen (etwa Währungsreformen, globale Handelssysteme) wirklich bewältigt wurden. Letztlich zeigt die Bilanz:


Jedes Kriegsexperiment zu „Heilung der Wirtschaft“ trägt das Risiko hoher Folgekosten in sich und führt eher zu neuen Krisen.


Langfristige wirtschaftliche Stabilität erfordert hingegen meist tiefgreifende friedliche Reformen statt militärischer Intervention.


Quellen: Wissenschaftliche und historische Analysen belegen die geschilderten Zusammenhänge. Insbesondere ökonomische Auswertungen zu Kriegfinanzierung und Inflation sowie theoriebildende Konzepte wie der Sozialimperialismus fließen in diese Bewertung ein.


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